Ein Werk der Wortfinder 

Was für eine wunderbare Aktion, dachte ich, als ich von dem Projekt des Bielefelder Vereins ‚Die Wortfinder‘ hörte. Der Kontakt zur Initiatorin Sabine Feldwieser ist durch meine redaktionelle Arbeit für die MITTEILUNGEN des Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland entstanden. Im Jahr 2020 habe ich die Redaktion der Zeitschrift des gemeinnützigen Vereins übernommen und durfte die Erfinderin einer großartigen Vision ‚kultureller Inklusion‘ kennenlernen.

Menschen ins eigene Wort bringen

„Es gibt viele Menschen mit kognitiven Einschränkungen, deren künstlerische Ausdrucksform die Sprache ist“, sagte Sabine Feldwieser in unserem Gespräch. Ihnen nicht nur eine Stimme zu geben, sondern sie buchstäblich ins eigene Wort zu bringen, darum geht es ihr. Die Gründerin ist bis heute der Motor des Vereins ‚Die Wortfinder‘. Sie lebt in Bielefeld und wirkt weit über die Landesgrenzen hinaus. Grenzen auszudehnen, vor allem unsere gedanklichen, ist ihr Anliegen.

Mit ihrem Engagement ist es Sabine Feldwieser gelungen, das Vorurteil zu entkräften, Menschen mit einer sogenannten ‚geistigen Behinderung‘ könnten nicht schreiben. Ihre Projekte bestätigen das Gegenteil und ermutigen Menschen und Mitarbeitende in Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Wortfinder-Kalender ist immer wieder der Beweis: Kreativität kennt keine Behinderung.

Alles, nur nicht sprachlos! 

Freiraum für Kreativität und die Chance, sich der eigenen künstlerischen Talente bewusst zu werden, das bietet Sabine Feldwieser den Mitwirkenden an ihren Projekten seit vielen Jahren – und die Erfolge sind sichtbar. Jetzt auch in dem neuen Buch mit dem Titel zu Sabine Feldwiesers aktuellstem SchreibKunst-Projekt ‚Heraus mit den Sprachen‘.

Das 496 Seiten starke und auch grafisch außergewöhnliche Buch ist das Ergebnis des ‚Wortfinder-Projekts‘ im Zeitraum 2019 bis 2021. Rund 700 Menschen mit und ohne Behinderung lieferten Texte zu Zeichnungen und Malereien von zehn Künstler:innen, die selbst nicht schreiben und nur wenig sprechen können.

Zu den Autor:innen zwischen acht und 96 Jahren, aus mehr als 30 Herkunftsländern, zählten bekannte Schriftsteller:innen. Sie alle hatten sich auf die sehr unterschiedlichen Bildsprachen der Künstler:innen eingelassen, die von dem Bielefelder Fotografen Veit Mette für das Buch portraitiert wurden. Seine Schwarz-Weiß-Fotos sind ebenfalls ein ästhetischer Genuss und bereichern das fantastische Gesamtwerk: eine spannende Mischung aus Gedanken, Gedichten und Geschichten, aus Texten zum Lachen und Weinen. Ebenso inspirierend wie berührend sind die einleitenden Worte von Projektleiterin Sabine Feldwieser.

Ein Kaleidoskop sprachlicher Vielfalt

‚Heraus mit den Sprachen‘ ist ein Kaleidoskop sprachlicher Vielfalt. Die Multiperspektivität der Texte erweitert den eigenen Blick auf die rund 160 Malereien und Zeichnungen. Bilder und Texte lassen staunen.
So lässt auch die Schwarz-Weiß-Zeichnung des mit Trisomie 21 geborenen Schweizer Künstlers Benjamin Abgottspon viel Raum für Fantasie. Der Autor Sebastian Herber erkannte in dem Werk ohne Titel (unten) schwarze Samen und schrieb ein Gedicht dazu.

Benjamin Abgottspon, o. T., 2018, Kohle auf Aquarellpapier, 29,7 × 42 cm
Benjamin Abgottspon, o. T., 2018, Kohle auf Aquarellpapier, 29,7 × 42 cm

Samen
Die Samen sind schwarz.
Und mit Samen kann man Blumen,
Pflanzen oder Kinder zeugen.
Die Samen kann man auch eingefrieren.
Und man kann die Samen erforschen.
Sebastian Herber

Pascal Gollé, Freundin Claudia, 2019, Aquarellbuntstifte auf Papier, 50 × 35 cm
Pascal Gollé, Freundin Claudia, 2019, Aquarellbuntstifte auf Papier, 50 × 35 cm

Einen kranken Mann sah die Autorin Jennifer Rawe in dem Bild von Pascal Gollé. Sie verfasste einen kurzen Text dazu, den wir hier ebenfalls veröffentlichen dürfen:

Der kranke Holzmann
Pinocchio –
Fühlt sich schlecht,
läuft die Nase.
Vielleicht auch die Holzwurmkrankheit.
Jennifer Raw

Das Buch (496 Seiten, Hardcover) kann für 29,80 Euro (zzgl. Versand) direkt bei ‚Die Wortfinder e.V.‘ bestellt werden. Wer sich und andere mit einem einzigartigen Buch-Kunst-Werk beschenken möchte, kann hier schon mal einen Blick hineinwerfen: Ansichts- und Leseprobe _ Heraus mit den Sprachen. Alle weiteren Infos auf: www.diewortfinder.com

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