„Ich berühre gerne meine Bilder – ich fühle sie.“ Gerade entdecke ich dieses Zitat in dem fantastischen Werk ‚Heraus mit den Sprachen‘, das der in Bielefeld ansässige Verein ‚Die Wortfinder e.V.‘ herausgegeben hat. Gern blättere ich durch das 496 Seiten umfassende und auch grafisch starke Buch. Es ist das Ergebnis eines ‚Wortfinder-Projekts‘ im Zeitraum 2019 bis 2021. Rund 700 Menschen mit und ohne Behinderung lieferten dafür Texte zu Zeichnungen und Malereien von zehn Künstler:innen, die selbst nicht schreiben und nur wenig sprechen können. Für mich sind die Projekte der ‚Wortfinderin‘ Sabine Feldwieser das beste Beispiel für kreatives Empowerment, das mich immer wieder berührt.
„Ich berühre gerne meine Bilder – ich fühle sie.“
Dieser Satz stammt von dem Künstler Pascal Gollé, der es bereits als Kind liebte, zu zeichnen und ganze Nächte damit verbachte. Nach dem Besuch der Grundschule arbeitete er im Artikus, einem Atelier der Lebenshilfe Absam. Schwerpunktmäßig bearbeitete und gestaltete er dort mit Ton; unter seinen Händen entstanden zahlreiche Kunstobjekte.
Heute wohnt Pascal in einer kleinen Wohngruppe der Lebenshilfe in Hall in Tirol. Sein Markenzeichen sind bunte Kopfbedeckungen. Er isst mit Vorliebe Salamipizza, mag es gerne gemütlich und ist ein hervorragender Tänzer, lese ich über ihn und erfahre, dass er seit 2017 in der Kunst- und Kreativgruppe der WITA (Tagesstruktur der W.I.R. gGmbH) in Hall in Tirol. Dort hat er sich bereits an vielen Kunstprojekten beteiligt und zeichnet nach wie vor unermüdlich.
Ideen zu Papier bringen
Mit großer Leidenschaft bringt er, bevorzugt mit Buntstiften, seine Ideen zu Papier. Tag für Tag. Er ist sehr authentisch und lässt sich von seinem Weg nicht abbringen. Unbeirrt zeichnet er seine eigenwilligen Figuren, egal, was um ihn herum passiert. Auf Nachfrage gibt er seinen Werken Titel, aber die können von Tag zu Tag wechseln. Zu seiner Kunst sagt er selbst:
„Das sind meine Gesichter – meine Familie und meine Freunde.“
Pascal genießt es, inmitten seiner vielen Zeichnungen zu stehen und freut sich, wenn auch anderen Menschen seine Bilder gefallen. Er versteht sich als Künstler und wünscht sich, als solcher wahrgenommen und anerkannt zu werden. Er ist eigentlich auch selbst ein Kunstwerk, heißt es im Buch über ihn: Immer wieder überrascht er mit seiner Verwandlungskunst.
Sprache und ihr feiner Duft
Künstler:innen wahrzunehmen und anzuerkennen, ungeachtet ihrer Behinderung oder kognitiven Einschränkung, ist ein Ziel, das Sabine Feldwieser mit ihren Literatur-Wettbewerben und Projekten unermüdlich ansteuert und erreicht. Teilnehmende stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Ich verfolge ihr Engagement seit vielen Jahren und durfte im letzten Jahr selbst in der Jury sein. Was mich stets aufs Neue beeindruckt, sind die Ausdrucksstärke und künstlerische Vielfalt der Menschen, denen Sabine eine Sprache gibt und denen sie Gehör verschafft. Dafür wurde sie in 2023 mit dem Bielefelder Kulturpreis ausgezeichnet (Mehr Infos dazu gibt es hier.)
Ganz wunderbar passt übrigens auch eine Poesie der Autorin Selma Sijamija aus dem Wortfinder-Werk zu meiner Idee des ‚Schreibens ohne Begrenzung‘. Sie hat es zu diesem Bild von Pascal Gollé geschrieben:
Woher und wohin
Wo ist sie?
Die Sprache.
Bevor ich sie frei geb. Durch meinen Mund.
Wohin geht sie?
Die Sprache.
Nachdem ich sie frei gab. Durch meinen Mund.
Sie hat dünne Fäden.
Bis zu meinem Herzen.
Bis zu meiner Seele.
Die nicht reißen.
Bis sie landet.
Sie hat einen feinen Duft.
Der nicht vergeht.
Der nicht verweht.
Der bleibt.
Bis sie landet.
Sie ist.
Ich.
Sonderaktion: Das Buch ‚Heraus mit den Sprachen‘ (496 Seiten, Hardcover) kann für 29,80 Euro (zzgl. Versand) direkt bei ‚Die Wortfinder e.V.‘ bestellt werden. Hier kannst du einen Blick hineinwerfen: Ansichts- und Leseprobe _ Heraus mit den Sprachen.
Headerfoto: Veit Mette