Die 53. Ausgabe des Ohrenkuss:

Für das Ohrenkuss-Magazin öffnen Menschen mit Down-Syndrom ihr Herz und schreiben, was sie bewegt. Wir dürfen es lesen. Und bereits der Titel der 53. Ausgabe macht es deutlich: Das Team aus Autorinnen und Autoren mit Trisomie 21 widmet sich sensiblen Themen. Einsamkeit ist leise. Wie sich das anfühlt, können wir erahnen, wenn wir die Texte und eine ausdrucksstarke Bilderwelt auf uns wirken lassen.

Das nach wie vor Besondere des Ohrenkuss: Die Autorinnen und Autoren haben eine Gemeinsamkeit, die andere Menschen nicht haben. Sie haben ein zusätzliches 21. Chromosom. Für ihr Magazin halten sie ihre Gedanken so fest, wie sie es am besten können: entweder mit Stift auf Papier, am Computer oder auf ihrem Smartphone. Manche diktieren ihre Gedanken und die Ohrenkuss-Redaktion überträgt sie in Textform.

Zhenja Holubentsev im Botanischen Garten: vor einem Seerosenteich - man ahnt, dass er einen Schreibblock in der Hand hält, in der anderen Hand einen Stift, mit dem er etwas auf dem Papier festhält, vielleicht seinen Eindruck von dieser Szene?
Zhenja Holubentsev im Botanischen Garten: vor einem Seerosenteich – man ahnt, dass er einen Schreibblock in der Hand hält, in der anderen Hand einen Stift, mit dem er etwas auf dem Papier festhält, vielleicht seinen Eindruck von dieser Szene?

Ganz wichtig für die Eigenart des Magazin-Konzepts: „Wir bringen alle Texte eins zu eins – so, wie unsere Autorinnen und Autoren sie erstellen“, sagt Chefredakteurin Dr. Katja de Bragança. „Wir korrigieren und zensieren nichts.“ So können die Leserinnen und Leser unmittelbar in die Gedanken- und Gefühlswelt der Verfasser:innen eintauchen.

Feine Unterscheidungen treffen

Was hat es nun mit dem Thema dieses Heftes auf sich: mit dem Allein sein? Dazu fällt den Autorinnen und Autoren einiges ein. Dabei unterscheiden sie fein zwischen wohligem und dem Gefühl von nicht freiwilligem Alleine-sein. Natalie Dedreux etwa beschreibt, dass sie das Gefühl von Einsamkeit oft erlebt und sich danach sehnt, diesen Zustand zu überwinden. Dabei klagt sie durchaus an: „Meistens ist es so das wir Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft vergessen werden, dann nicht richtig gesehen werden und auch nicht richtig gehört werden, und dann auch nicht richtig ernst genommen werden. Und das ist und da fühlen wir uns einsam“, fasst sie zusammen.

Was man im Bauch fühlen kann

„Einsamkeit ist auch für viele Menschen mit Down-Syndrom ein Thema, welches nicht wahrgenommen wird.“, bestätigt auch Katja de Bragança. „Leider haben viele Menschen mit Down-Syndrom nur wenige gleichberechtigte soziale Kontakte. Sie haben oft keine Freundschaften, die zum Beispiel unabhängig von ihrem Arbeitsplatz und ihrer Familie sind. Allerdings: Das geht auch vielen Menschen mit 46 Chromosomen so. Es ist also ein Thema, welches unsere ganze Gesellschaft betrifft.“ Ohrenkuss-Autorin Maria Trojer beschreibt es so: „Das Einsame ist in mir. Und fühle es in meinem Bauch.“

Tiefe Sehnsucht nach Freundschaft

Die Texte und Bilder im Heft spiegeln diese tiefe Sehnsucht nach Freundschaft wider. „Einsamkeit ist leise“, findet Ronja Marie Assmann. Anne Feldmann berichtet: „Wenn ich zu einer Party gehe, treffe ich dort viele Menschen. Ich bin nicht alleine, trotzdem kann ich mich sehr einsam fühlen, weil ich niemanden kenne und mich niemand kennt und beachtet.“ Manchmal allerdings hat alleine zu sein auch seine Vorteile, sagt dann wieder Ronja Marie Ossmann: „Am Wochenende möchte ich alleine sein, weil ich da Döner essen gehen will.“

Raum, der Texte atmen lässt

Insgesamt 36 Autorinnen und Autoren haben zur aktuellen Ausgabe beigetragen. Sechs Monate lang haben sie an ihren Texten gearbeitet. Grafikerin Maya Hässig hat das Ganze in Form gebracht: in ein 36-seitiges Heft in der unverwechselbaren Ohrenkuss-Optik: im Querformat, mit groß dargestellten Fotografien und viel Raum, der die Texte atmen lässt.

Anna-Lisa Plettenberg und Felix Kind im Botanischen Garten
Anna-Lisa Plettenberg und Felix Kind im Botanischen Garten

Die Fotos sind im Rahmen eines Kunst-Workshops mit Peri de Bragança, Felix Kind und Takashi Sonoda im Botanischen Garten am Poppelsdorfer Schloss in Bonn entstanden. Festgehalten hat die Bilder Swetlana Gasetski. Den Ohrenkuss bekommt man zwar nicht am Kiosk, aber man kann das Magazin abonnieren. Es erscheint zweimal im Jahr, ist werbefrei und unabhängig – und das schon seit 1998.

Mehr Informationen, Bilder und Texte unter: www.ohrenkuss.de
Fotos: Redaktion Ohrenkuss/Fotografin Swetlana @swetlanagasetski (Instagram)

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